Reine Leidenschaft: Das Festival Sanremo ist eine italienische Institution

Quelle: arp

Sanremo, das sind große Gefühle, live auf der Bühne zelebriert und in die Wohnzimmer von Millionen Italienern getragen. Auch die 73. Ausgabe des „Festival della Canzone Italiana di Sanremo“ im Teatro Ariston war ein voller Erfolg. Marco Mengoni gewann mit „Due vite“ (https://www.youtube.com/watch?v=_iS4STWKSvk). Der Popsänger holte die prestigeträchtige Auszeichnung zum zweiten Mal nach 2013 und damit zugleich das Ticket für den Eurovision Song Contest 2023. Sein bittersüßer Streifzug durch die Nacht, die Gestirne und das Liebesleben hat das Zeug, auch dort ganz vorne zu landen.

Mengoni gelang ein Ohrwurm in der Tradition der ganz Großen, die alle schon in San Remo auftraten: Adriano Celentano, Mina, Eros Ramazzotti, Laura Pausini – bis zur skandalumwitterten Rockband Måneskin, die 2021 gleich noch den ESC gewann – mit ihrem augenzwinkernden Titel „Zitti E Buoni“ („ruhig und brav“).

Bis heute ist das 1951 gegründete Festival alles andere als brav. Es geht schließlich um so wunderbare Nebensächlichkeiten wie das schrillste Outfit und die kleinen Skandale am Rande der Festivalbühne. Sanremo ist keine einfache Musikshow, viel eher Stimmungsbarometer eines ganzen Landes. Über zehn Millionen Menschen schauten an fünf Abenden im Schnitt zu (das sind sagenhafte 62,96 Prozent Einschaltquote), am 11. Februar 2023 waren es sogar über zwölf Millionen. Kein Wunder, denn am Ende der fünf Tagen von Sanremo entscheiden alle zusammen: die Menschen im Saal und die vor den Fernsehern, wer die goldene Palme mit dem Löwen schließlich nach Hause trägt.

Songs zum Mitfiebern

Die Songs von Sanremo begleiteten den Weg Italiens nach dem Krieg, kommentierten die Welt mit süßem Herzschmerz und sorgten dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Lebensfreude übersetzt wurde. Seit Jahrzehnten ist die sogenannte „musica leggera“ ein Exportschlager mit ihrer Mischung aus Verführung, Träumen und Dolce Vita. Sanremo gilt als Talentschmiede und Bühne gestandener Musikerinnen und Musiker, inszeniert von der Rai und ausgestrahlt zur besten Sendezeit. Sogar Staatspräsident Sergio Mattarella ließ es sich nicht nehmen, am Eröffnungsabend das traditionsreiche Festival zu erscheinen. Erstmals übrigens.

Während der fünf Tage wird das idyllische Küstenstädtchen an der ligurischen Blumenriviera zum Nabel der Musikwelt, voller Stars und Sternchen, die sich den Wettbewerb um die beste Presse nicht entgehen lassen wollen. Sanremo polarisiert, doch niemand kann es sich leisten, nicht über den aktuellen Stand informiert zu sein, über die Tränen und Jubelrufe, die Kleider und nackten Tatsachen. Eine Schrecksekunde, als Michelle Hunziker auf der Bühne stolperte, ein einziger Jubelschrei, als Slalomkönig Alberto Tomba 1988 live von den Olympischen Spielen aus Calgary zugeschaltet wurde und ihn das Publikum Gold gewinnen sah.

 

Überraschend politisches Manifest

Auch dieses Jahr waren alle Augen auf die Bühne mit ihrer berühmten Treppe gerichtet, als Influencerin Chiara Ferragni („La Ferragni“) erschien. Ferragni forderte mehr Respekt vor dem weiblichen Körper, wandte sich plötzlich um und zeigte den Schriftzug auf ihrer Stola: „Pensati Libera“. „Denk dich frei“ war sofort Teil einer Kampagne gegen Femizide auf Instagram. Souverän moderiert von Amadeus (der eigentlich Amedeo Umberto Rita Sebastiani heißt) und Gianni Morandi, bot Sanremo 2023 noch mehr als sonst: Es war zugleich kulturelles wie politisches Ereignis.

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